Grundeinkommen

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Unter den Namen bedingungsloses Grundeinkommen, Existenzgeld firmieren ähnliche Konzepte, die alle darauf basieren, das Sozialsystem zu reformieren. Näheres siehe Wikipedia-Artikel und die dort auf aufgeführten Modelle und Links (z.B. Ulmer Modell und Unternimm die Zukunft). Manchmal ist auch von Bürgergeld oder negativer Einkommenssteuer die Rede, damit sind aber meist leicht andere Konzepte gemeint. Ein Grundeinkommen wäre eine, aber nicht unbedingt die einzige Form einer Grundversorgung. Wenn von Grundsicherung die Rede ist, ist jedoch meistens eine Form einheitlicher sozialer Absicherung mit Bedürftigkeitsprüfung und oft auch mit Arbeitszwang gemeint.

Das Grundeinkommen von dem hier die Rede sein soll, hätte vor allem die Eigenschaft, individuell garantiert, nicht an Bedürftigkeit und eine Arbeits-/Tätigkeitsverpflichtung gekoppelt zu sein. Es würde jedem Menschen in gleicher Höhe zustehen. Das schließt nicht aus, dass es zusätzliche Transfers geben könnte, die an Bedürftigkeit gekoppelt wären.

Angesichts der Vielfalt an Diskussionen und Informationen zum Thema (ein paar davon findet man bei den Links) kann es hier nicht darum gehen, diese komplett wiederzugeben. Ziel dieser Seite sollte jedoch sein, abzuklopfen, inwiefern ein bedingungsloses Grundeinkommen eine realistische und sinnvolle Maßnahme im Übergang zur Freien Gesellschaft sein kann.

Für unsere Diskussion dürften zwei Fragen entscheidend sein:

  • Zum einen, ob ein Grundeinkommen in der Lage wäre, gesellschaftliche Freiräume zu schaffen, die es ermöglichen, mehr Zeit in Freie Projekte zu stecken und somit Perspektiven hin zu einer tauschfreien Grundversorgung zu ermöglichen.
  • Zum anderen, ob die Perspektive eines solches Grundeinkommens so realistisch ist, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen – oder ob es nicht sinnvoller wäre, die dafür notwendige Tatkraft anderweitig einzusetzen (z.B. für ein direktes Vorantreiben Freier Projekte mit Blick auf eine selbstorganisierte tauschfreie Grundversorgung). Siehe dazu vor allem unten "Das Argument der Kräfteverhältnisse".

Argumente für ein Grundeinkommen

Argumente für ein Grundeinkommen in der generellen Diskussion gibt es in dem schon genannten Wikipedia-Artikel und im allgemeineren Artikel zur Grundversorgung. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Befürworter eines Grundeinkommens davon ausgehen, dass dieses zu einer faireren Gehaltsstruktur führen würde, da dann langweilige und unangenehme Jobs besser entlohnt werden müssten, um Arbeitswillige anzuziehen – sofern sie nicht einfach entfallen oder durch Automatisierung ersetzt werden könnten. Heute richten sich solche Jobs an Menschen, die keine andere Alternative haben, und werden deshalb meist besonders schlecht bezahlt.

Diskussion der Argumente gegen ein Grundeinkommen

Es sind sehr viele unterschiedliche Argumentationen im Umlauf, was unter anderem auch an der Vielfalt von Grundeinkommensmodellen liegt. Hier der Versuch, die Gegenargumente ein wenig zu strukturieren und in Bezug auf unsere Fragestellung zu diskutieren:

  • Das Arschtrittargument: Es wird behauptet, dass es viel Arbeit gibt, die nicht mehr gemacht würde, wenn es ein Grundeinkommen gäbe, weil der Mensch nun mal faul sei und sich in jede Hängematte legen würde, die man ihm aufbaut.
Dieses Argument ist eigentlich im Rahmen unserer Diskussion hier nicht direkt relevant, weil es dem „Fernziel“ Freie Gesellschaft genauso entgegengehalten werden kann. Im Gegenteil würde aus unserer Sicht eher für ein Grundeinkommen sprechen, dass man hier sozusagen diesen Aspekt der Selbstentfaltungsgesellschaft schon einmal mit niedrigerer Fallhöhe ausprobieren könnte.
  • Das Argument der Kräfteverhältnisse: Es wird behauptet, dass bei den derzeitigen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen möglicherweise zwar ein Grundeinkommen durchsetzbar sei, aber dieses so niedrig ausfallen würde, dass de facto eine weitere Verschlechterung für viele damit verbunden sei. Tatsächlich sind einige Modelle von liberaler oder konservativer Seite im Umlauf (z.B. Friedmann, Althaus), die einen solchen Verdacht nähren.
Das Problem mit diesem Argument ist, dass es eigentlich auf jedes Reformprojekt angewandt werden kann. Interessanter für uns sind vielleicht folgende Fragestellungen in diesem Zusammenhang: „Ist die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen oder deren Realisierung geeignet, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verändern?“ bzw. „Welche Kämpfe sind in der Lage, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse so zu verändern, dass sich schließlich auch ein bedingungsloses Grundeinkommen durchsetzen ließe?“ Wäre z.B. die Forderung eines gesetzlichen Mindestlohns förderlich oder sogar hinderlich? Wie sieht es aus mit einem Grundeinkommen, dass zunächst nicht bedingungslos wäre?
  • Das Kombilohnargument: Es wird argumentiert, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen vor allem eine Subvention von Niedriglöhnen (also ein Kombilohn) sei und die Kosten für die soziale Sicherung vom Lohn der Arbeiter über Steuern abknappst und das Kapital bezuschusst. Somit würde ein Grundeinkommen nur die partikularen Interessen von Erwerbslosen und kleinen Selbstständigen fördern und somit einem breiten Bündnis mit den Lohnarbeitern im Weg stehen (siehe: Rainer Roth – zur Kritik des bedingungslosen Grundeinkommens, ISBN 3-932246-52-7).
Befürworter eines Grundeinkommens halten dem entgegen, dass dies nicht gelten würde, sobald das Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe gezahlt würde. Siehe http://www.grundeinkommen.info/fileadmin/Text-Depot/Presse/PM_09-06.pdf. Ebenso wird ein ergänzender Mindestlohn diskutiert. Wichtig in dieser Debatte ist das Lohnabstandsgebot.
  • Das staatskritische Argument: Oft wird das Grundeinkommen - vor allem von Anarchist/innen kategorisch abgelehnt, weil es eine "Forderung an den Staat" sei und deswegen abzulehnen, weil Staat an sich schon eine antiemanzipatorische Sache sei.
Grundsätzlich stimmt das. Allerdings ist ein auf dem Grundeinkommen basierender Sozialstaat ja schon viel weniger interventionistisch als die bisherigen Modelle. Insofern wäre das ja schonmal ein Schritt in die richtige Richtung, wenn der Staat einfach zahlt ohne einen auch noch gängeln zu müssen.
  • Das Anerkennungsargument: (Erwerbs-)Arbeit sei unverzichtbar für gesellschaftliche Anerkennung und deswegen dürfte das Ziel eines "Rechts auf Arbeit" nicht aufgegeben werden.
Dieses Argument blendet zum einen aus, das schon heute nur die Minderheit der Menschen (selbst in den Industrieländern) Erwerbsarbeit betreibt und zum anderen blendet es auch aus, dass es auch Menschen gibt, die durch den Zwang zur Erwerbsarbeit gerade dazu genötigt sind, ihre Zeit mit etwas zu verbringen, wofür sie keine Anerkennung kriegen (bzw. diese nicht annehmen können), anstatt mit etwas, wofür sie Anerkennung kriegen könnten (Das Beispiel eines Freien-Software-Programmierers, der nicht mehr an seinem Projekt arbeiten kann, weil er Geld verdienen muß, bietet sich hier besonders an).
  • Das Wertkritische Argument: Siehe dazu die etwas ausführlichere Diskussion im nächsten Absatz.

Kritik der wertkritischen Kritik

Die wertkritische Sicht auf das Grundeinkommen ist sehr negativ, da die wertkritische Schule – völlig zu recht – davon ausgeht, dass die Bedingung zur Auszahlung eines Grundeinkommens immer eine funktionierende Verwertungsmaschinerie sein muss. Weiter geht die Wertkritik deswegen davon aus, dass ein Grundeinkommen nicht im emanzipatorischen Sinn funktionieren kann, weil zum einen ja die Verwertung in der Krise steckt und zum anderen ein Aufrechterhalten der Verwertungsmaschinerie der Emanzipation genau entgegen wirkt. Doch dieser Schluss führt in die Irre. Warum?

Wenn man den Übergang zum Neuen als Prozess betrachtet und nicht wie das Kaninchen auf die Schlange auf das Alte starrt, dann ist klar, dass in diesem Übergangsprozess vor allem folgende Dinge wichtig sind:

  1. Die zerstörerischen Potentiale, die durch die Krise des Alten frei werden minimieren.
  2. Die kreativen Potentiale die im Neuen stecken fördern.
  3. Sicherstellen, dass der Übergang auch tatsächlich stattfindet und nicht mittendrin steckenbleibt.

Für all dies wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen hilfreich, weil:

  1. Zerstörungen sozial abgefedert werden,
  2. Freiraum für selbstorganisierte Experimente geschaffen wird und
  3. die Krise als Krise der Verwertung noch verschärft wird – so ja gerade die Argumentation der Wertkritiker.

Klassifikation verschiedener Grundeinkommensmodelle

Es kann hier nicht darum gehen die inzwischen sehr zahlreichen unterschiedlichen Modelle im einzelnen vorzustellen. Aber vielleicht macht es Sinn die Modelle zu klassifizieren um Struktur in die Modelldebatte zu kriegen und insbesondere um klar zu kriegen, welche Eigenschaften in Bezug auf unsere Diskussion Sinn machen.

  • Wer kriegt's? Hier gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen von „nur Erwachsene einer bestimmten Nationalität“ bis hin zu „jeder Erdenbürger“. Große Differenzen gibt es vor allem bei Kindern. Wichtig ist diese Frage vor allem im Kontext von Migration.
  • Wie hoch? Diese Frage wird oft in der Debatte als die zentrale präsentiert. Die anderen Fragen sind aber mindestens genau so wichtig. Es sind sowohl feste Höhen im Gespräch als auch variable, das wird dann meistens über die (Warm-)Miete abgehandelt.
  • Was muss man alles davon zahlen? Es macht natürlich einen riesigen Unterschied, ob man davon dann noch Kranken- und Rentenversicherung zahlen muss. Das ist offensichtlich. Weniger offensichtlich ist das Verhältnis zur fortschreitenden Privatsierung und Ökonomisierung. Als Beispiel: Wenn ÖPNV umsonst wäre, könnte man auf den ein oder anderen Euro verzichten. Das ist für uns im Zusammenhang mit Grundversorgung natürlich wichtig.
  • Wie ist die Auswirkung auf den Lohn? Diese Frage ist natürlich nur zum Teil durch das Grundeinkommensmodell beantwortbar. Es gibt die Vorstellung eines substitutiven Grundeinkommens, das einem quasi vom Lohn abgezogen wird und es gibt die Vorstellung, dass der Markt das von selbst so regeln wird (weil der Preis der Ware Arbeitskraft die Kosten ihrer Reproduktion ist). Schließlich gibt es auch noch Vorstellungen ein Grundeinkommen, mit einem Mindestlohn zu verbinden, um die Wirkung als Kombilohn zu unterbinden.
  • Wie wird's bezahlt? Wichtige Bestandteile unterschiedlicher Finanzierungsmodelle sind: Streichen bisheriger Sozialleistungen, Lineare Einkommenssteuer, Mehrwertsteuer bis zu 50%, Ökosteuer, Verschmutzungsrechte, Vermögenssteuer. Einige Modelle schränken das bisherige progressive Steuermodell ein, was oft kritisiert wird. In dieser Kritik wird jedoch nicht beachtet, dass das Grundeinkommen selbst – da konstant für alle – auch schon ein quasi progressives Element enthält.

Eine grundlegende Kritik an der Sinnhaftigkeit von detailierten Finanzierungsmodellen zum derzeitigen Zeitpunkt findet sich hier.

Grundeinkommen als Übergangsphänomen

Wer den Übergang von der heutigen Tausch-basierten Gesellschaft zu einer weitgehend tauschfreien, auf freiem Geben und Nehmen basierenden Freien Gesellschaft für für wünschenswert und denkbar hält, muss akzeptieren, dass das bedingungslose Grundeinkommen keine Dauerlösung sein könnte, sondern ein Übergangsphänomen. Freie Software, Freie Musik und andere freie Güter produzieren nun einmal weniger Tauschwert als ihre proprietären Gegenstücke, so dass ein auf die Verwertungsmaschinerie angewiesenes Grundeinkommen immer etwas Schwindendes wäre. Insofern muss die Umwandlung gelingen, bevor das zu verteilende Einkommen „alle“ ist.

Ein denkbarer Kritikpunkt ist, dass ja dann andere dieselbe (typischerweise entfremdete) Arbeit machen müssen, die man für sich selbst ablehnt. Doch wenn man den Übergangsprozess ernst nimmt, bedeutet das auch, dass es zwangsläufig ein Nebeneinander von Lebensweisen geben muss. Eine Lebensweise bleibt noch im Alten verhaftet, die andere sucht nach Neuem. Der Übergang kann nur dann in unserem Sinne ablaufen, wenn wir einen Modus des Vermittelns zwischen diesen Lebensweisen finden – einen der gegenseitigen Achtung. Das Grundeinkommen könnte auch in diesem Sinne positiv wirken, weil es den Neuen ihre Suche ermöglicht und den Alten Platz auf dem Arbeitsmarkt macht. Es gibt zahllose Leute, die den Arbeits- und Wert-„Virus“ so intus haben, dass sie nicht mehr davon lassen können (vermutlich wird sich hier sogar niemand ganz ausnehmen können).

Insofern könnten die wertkritischen Argumente gegen das Existenzgeld alle richtig sein, ohne dass das den Kampf für ein Existenzgeld sinnlos machen würde. Wertkritiker zu sein und gegen ein Grundeinkommen ist einfach. Wertkritiker zu sein, aber für ein Grundeinkommen, könnte eine Aufgabe im 21. Jahrhunderts sein, damit es dann im 22. gar kein Einkommen mehr braucht.

Links